Neuer Jugendstil im Rabengrund

Der VfB Oberndorf verfügt über eine Mannschaft, in der großes Entwicklungspotential schlummert

Jossgrund-Oberndorf. Der VfB Oberndorf gehört zu den großen Traditionsklubs im Fußballkreis Gelnhausen, die Chronik der Kicker aus dem Jossgrund ist mit zahlreichen Erfolgen gespickt. Besonders stolz sind sie im Rabengrund auf die Jahre 1987 bis 2001, in dieser Zeit spielte die erste Mannschaft ununterbrochen in der damaligen Bezirksoberliga Frankfurt Ost, die heute Gruppenliga heißt. Mittlerweile backen die Oberndorfer wieder etwas kleinere Brötchen, aber im aktuellen Kreisoberliga-Team des Vereins steckt großes Potenzial.

Der Übergang von der „goldenen Gruppenliga - Generation", die von Könnern wie Reinhold Walz, Alexander Glassen, Frank Kleespies, Udo Lingenfelder, Paul Sachs und vielen weiteren glorreichen Akteuren geprägt wurde, zur aktuellen Mannschaft war für die Oberndorfer kein leichter Weg.

Als die „alten Häuptlinge" nach und nach aufhörten und somit ein Umbruch notwendig wurde, mussten die Jossgründer zunächst einmal erkennen, dass sie in der Tat eine außergewöhnliche Ära erlebt hatten. „Dass es einem Verein gelang, 14 Jahre lang in der Bezirksoberliga ohne auswärtige Spieler und ohne finanzielle Zuwendungen an die Akteure zu bestehen, ist und bleibt eine herausragende Leistung", stellte der langjährige Vorsitzende Franz Albert Desch erst kürzlich wieder fest. Diese Philosophie behalten sie im Spessart bis heute konsequent bei: Ungeachtet des demografischen Wandels gelingt es den Oberndorfern bislang immer wieder, nachwachsende Talente aus dem eigenen Juniorenbereich in die Seniorenmannschaften zu integrieren. In der Regel bewerkstelligen das namhafte Trainer oder Spielertrainer, die in der Regel auch die Einzigen sind, die nicht aus dem Jossgrund, beziehungsweise aus den direkt benachbarten Kommunen stammen. Alberto Agnetelli, Gerd Paulus, Michael Drefs, Ljubio Miloloza oder der jetzt auf der Kommandobrücke stehende Ex-Eintracht-Profi Dennis Rieth bürgen auf dieser neuralgischen Position für eine beachtliche Kontinuität.

■ Coach Rieth führt Viererkette erfolgreich ein

Dessen ungeachtet kämpften die Oberndorfer in der vergangenen Saison lange gegen den Abstieg, die relativ junge, unerfahrene Mannschaft musste einiges an Lehrgeld zahlen. Dieser Prozess ist mittlerweile beendet, der VfB steht als aktueller Tabellensiebter hervorragend da und ist mit einem 4:1-Auswärtssieg in Bieber blendend in die Restrunde gestartet. Mit dem Abstieg werden die Schwarz-Weißen in der laufenden Runde ziemlich sicher nichts mehr zu tun bekommen.

Die Gründe dafür liegen laut Paul Sachs auf der Hand. Der ehemalige Mittelfeldmotor des Vereins ist mittlerweile Spielausschuss-Vorsitzender, niemand wüsste den aktuellen Sachstand besser einzuschätzen als er. „Ein wesentlicher Grund für den aktuellen Aufschwung ist die überragende Trainingsbeteiligung, die wir seit Monaten zu verzeichnen haben. Was wiederum auch an der Top-Arbeit liegt, die Dennis Rieth bei uns abliefert." Der aus Bernbach stammende ehemalige Bundesligastürmer der Frankfurter Eintracht, der unter Branko Zebec in der deutschen Eliteklasse kickte, gehört mittlerweile auch schon zum Inventar des VfB. Rieth war früher schon einmal Trainer in Oberndorf und fand vor anderthalb Jahren den Weg zurück zum heimischen Vorzeige-Verein.

■ Überragender Zusammenhalt

Dort setzte der Ex-Profi ein ambitioniertes Projekt in die Tat um. „Dennis hat vor der Saison unser Spielsystem auf die Vierer-Abwehrkette umgestellt. Mittlerweile hat der ganze Kader diesen Ansatz verinnerlicht, es weiß wirklich jeder Spieler, wie er sich im Rahmen dieses Systems zu verhalten hat. Wenn man mal wechseln muss, dann gibt es keinen Qualitätsverlust mehr." Der VfB verfüge somit wieder über eine junge Mannschaft, in der noch einiges an Potenzial schlummere. „Lukas Röder ist mit 18 Jahren der Jüngste, das Gros des Teams ist Anfang zwanzig und der 27-jährige Sebastian Beyer sowie der 30-jährige Holger Heinemann sind die beiden einzigen Altvorderen." Die Harmonie in der Truppe stimme nicht nur auf dem Platz. „Jeder ist für jeden da, es wird auch in der Freizeit etwas gemeinsam unternommen, wir verzeichnen einen sehr großen Zusammenhalt, wofür ich die Jungs zuletzt auch beim Trainingsstart nach der Winterpause ausdrücklich gelobt habe", benennt Sachs einen weiteren wichtigen Faktor im Erfolgsmosaik. Darüber hinaus verleihen die beiden Flörsbachtaler Uli Eisenacher und Florian Dietrich, der nach einem eher unglücklichen Intermezzo beim TuS Frammersbach zum VfB stieß und seither im zentralen Mittelfeld die Fäden zieht, der Mannschaft wohltuende Stabilität. „Darüber hinaus ist aus meiner Sicht ganz entscheidend, dass wir mit Matthias Neiter wieder einen Keeper zwischen den Pfosten haben, der trotz seines jungen Alters erkennen lässt, dass er große Entwicklungsmöglichkeiten hat", stellt Sachs klar. Der aus der eigenen Jugend stammende 19-jährige Keeper bewegt sich somit auf den Spuren früherer VfB-Torwartikonen wie Paul Kalbert oder Markus Korn.

Ob Neiter und Co. mittelfristig in der Lage sind, eine neue, glorreiche Oberndorfer Ära in der Gruppenliga einzuleiten, beurteilt Paul Sachs eher zurückhaltend: „Ich denke, dass das in der heutigen Zeit schwierig ist. Von den jungen Menschen wird gerade im Berufsleben deutlich mehr Flexibilität verlangt, als es noch zu meiner Zeit der Fall war. Meine damaligen Teamkameraden und ich waren um die 25 Jahre alt, als wir im Grunde genau wussten, wie sich auch unsere beruflichen Perspektiven entwickeln würden. Eine entsprechende Planbarkeit hatten wir somit auch bezüglich unserer fußballerischen Ambitionen", erklärt der gelernte Bankkaufmann. Heutzutage seien ein Studium fernab der Heimat oder große Mobilität in punkto Arbeitsplatz einzukalkulieren, dementsprechend könne der Amateurfußball zumindest in Oberndorf nicht mehr so intensiv gelebt werden, wie es früher der Fall gewesen sei. Das wiederum ist für die Jossgründer aber noch lange kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. In der kommenden Saison rücken wieder drei hoffnungsvolle Talente von den A-Junioren in die Seniorenteams auf, welche die Substanz des VfB-Kaders weiter stärken werden. In diesem Zusammenhang sei die hervorragende Arbeit von Lothar und Kai Röder zu loben, die sich in dieser Hinsicht große Verdienste um den Verein erworben hätten, wie Sachs betont.

■ Derby gegen Bad Orb

Am Wochenende geht es für die Oberndorfer aber nicht um langfristige Überlegungen, sondern um die kurzfristige Klärung einer Frage der Ehre. Um 15 Uhr empfängt der VfB den FSV Bad Orb zum stets mit Spannung erwarteten Spessart-Derby. „Hier haben wir aus dem Hinspiel noch eine Rechnung offen. Wir verloren mit 1:5, und zwar verdient. Aber mittlerweile haben unsere Jungs die Viererkette wesentlich besser drauf ...", weiß Sachs zu berichten.

Er hofft auf einen weiteren Dreier der Rieth - Schützlinge auf dem Weg zur möglichst frühzeitigen, rechnerischen Sicherung des Klassenerhaltes, was dem grundsätzlich vorsichtigen-, realistischen Oberndorfer Naturell entspricht. Wenn am Ende allerdings etwas mehr herausspringt als der aktuelle siebte Rang, dann wird sich im Rabengrund darüber garantiert niemand beschweren.

Quelle: Artiklel von Dieter Geissler in der GNZ vom 8. März 2013 Seite 12